Ein Märchen für diese Zeit
Gar nicht mal so lange her, ergab sich folgendes.
Janus, ein eher einfacher Büroangestellter, hatte nicht mehr so viel
Spaß an seiner Arbeit. Er machte seinen Job jetzt schon seit fünfzehn
Jahren bei Labaty, einem Holzhändler in Feundelheim.
Janus war dafür zuständig, daß die Leute ,die Holz in den
verschiedensten Größen und Formen brauchten ,auch das bekamen was ihnen vorschwebte.
Es war nicht so, als ob er seine Arbeit nicht gerne machte, aber in der
letzten Zeit waren so viele Dinge zusammen gekommen, die ihn sehr
nachdenklich stimmten.
Seine liebste Arbeitskollegin, die Frau Haflinger, ging vor kurzem in
den Ruhestand, und das auch erst mit sechzig. Gerne wäre sie schon eher
gegangen, aber der Herr Direktor hatte sie immer wieder gebeten noch
etwas länger zu arbeiten. Leider hat der Herr Direktor versäumt früh genug einen Nachfolger für die Frau Haflinger einzuarbeiten.
Somit ist die ganze Arbeit an Janus hängen geblieben und man konnte
zusehen wie die Arbeit immer mehr über seinen Kopf wuchs und er mehr und
mehr unzufrieden wurde.Die Abende an denen Janus noch sehr lange im Büro sitzen mußte, um alle Aufträge abzuarbeiten, wurden immer häufiger.
Immer öfter hatte er Anne anrufen müssen, daß er später von der Arbeit
heimkehrt.
Anne, seine Freundin war auch sehr unglücklich darüber.
Oftmals hatte sie den beiden ein schönes Abendessen zubereitet, welches
dann kalt wurde.Und mit der Bitterkeit dieser Erkenntnis schwand auch bei ihr der Verstand für diese Lage.
Jedesmal nachdem Janus heimgekehrt war, sprachen sie über diese
Situation, ihre Zukunftspläne und ihre Unzufriedenheit. Beiden war klar, daß diese Momente immer mehr zunahmen und damit auch unerträglicher wurden........
Nur in Wirklichkeit meinten sie beide daß sie diese Situation nicht
ändern könnten.Das sollte sich ändern.
Frau Haflinger hatte bereits im Juni die Firma verlassen und Janus
merkte mehr und mehr wie sehr sie ihn im Stich gelassen hatte.Das jedenfalls war das Gefühl welches er empfand.
Die Zeit bewegte sich auf das Jahresende zu und damit auch auf das
Weihnachtsfest.
Die Aufträge, die Janus bearbeiten mußte waren kaum mehr überschaubar.
Damit wuchs auch die Anzahl der Stunden die er im Büro zubrachte.
Und damit wuchs auch die Anzahl der Abende an denen er zu spät nach
Hause kam.
Anne, die in einer Buchhandlung arbeitete und dadurch immer zeitig
Feierabend hatte, brachte nur noch wenig Verständnis für die Situation auf. Sie sehnte sich nach Abenden an denen man sich in den Armen hielt,
zufrieden war und vielleicht einfach nur einen schönen Film anschaute.
Sie sehnte sich nur nach etwas Geborgenheit. Diese Erwartung konnte
aber von Janus momentan nicht erfüllt werden. Wer weiß, vielleicht auch
nie!
Diese Gedanken überfielen sie mehr und mehr. Was hatte sie von ihrem
Leben erwartet? Sie wollte doch nur ganz einfach glücklich und zufrieden
sein. War das schon zuviel verlangt? Ihre Gedanken trieben sie manchmal
in die verlegensten Winkel dieses Lebens und den damit verbundenen
Empfindungen.
Und gerade zu dieser Jahreszeit gab es genügend Möglichkeiten zu
verspüren wie sehr einem die Geborgenheit und die damit zusammenhängende
Zufriedenheit fehlte.
Überall, ob im Radio oder auf der Strasse hörte man wie sehr sich die
Leute auf Weihnachten freuten. Und mit jedem "Frohe Weihnachten" was ihr
entgegengebracht wurde, erhöhte sich ihr Übelkeitsfaktor. Sie glaubte
feststellen zu können, daß sie einfach nur neidisch war, neidisch auf das
anscheinende Glück der anderen Leute.
Die Tage bis zum heiligen Abend wurden weniger, aber die
Unzufriedenheit leider immer größer.
Janus kam immer später nach Hause, war völlig entnervt und damit auch
nicht mehr bereit wertfrei über ihre Situation zu reden.
Anne nahm das sehr mit, weil sie in der Buchhandlung nicht so sehr
gestresst wurde wie Janus in der Holzhandlung.
Ihre Unzufriedenheit bekam Übermacht.
Zwei Tage vor dem heiligen Abend machte sie zwei Stunden eher
Feierabend, um Janus das schon lange ausgesuchte Weihnachtsgeschenk zu besorgen.
Bei einem Spaziergang hatte er mal darüber gesprochen wie gerne er mit
Anne mal wieder verreisen würde. Anne war von dieser Idee sehr angetan.
Mochte dies doch vielleicht die Gelegenheit sein sich mal wieder näher
zu kommen.
Anne hatte natürlich lange über diese Möglichkeit nachgedacht.
Sie malte sich aus daß dies vielleicht die letzte Chance für ihre
Beziehung sein könne.
Sie war sich sicher diese Chance wahrnehmen zu wollen.
Diese zwei Stunden, die sie eher Feierabend machte wollte sie dazu
nutzen, um Janus und natürlich auch sich ganz in Ruhe eine schöne Reise in irgendeinem Reisebüro auszusuchen.
Sie hatte schon jenes im Kopf, an dem sie immer zum Buchladen vorbei
mußte.
Diese schönen Bilder mit einsamen Küsten und sonnengetränkten Gewässern
konnten ihr jeden Morgen ein wenig Fernweh beibringen.
Gesagt, getan!
Anne betrat das Reisebüro und fühlte sich gleich erleichtert. Es war
nicht so voll wie sie erwartet hatte. Normalerweise waren doch eine Menge
Leute daran interessiert in dieser Zeit zu verreisen. Na ja, dann hatte
sie eben auch mal Glück.
Die Beratungsplätze waren zwar alle besetzt, aber sie war die erste
Wartende.
Schon ein wenig verträumt nahm sie sich einen Prospekt über Mauritius
aus dem sich aufdrängenden Katalogangebot, um sich ein wenig die Zeit zu
vertreiben.
Gerade war sie in der Beschreibung des Hotels Mau Playa versunken, als
eine eher schüchterne Stimme sie herüber bat.
Anne legte das Prospekt wieder zurück und begab sich zu dem frei
gewordenen Platz.
Ein jüngerer Angestellter saß vor ihr und erweckte gleich beim ersten
Blickkontakt ein ungewöhnliches Gefühl in ihr.
Sie setzte sich und legte ihre kleine Handtasche aus braunem Leder mit
silbernem Verschluß vor sich auf den Tisch.
Der Blick von Anne richtete sich nun auf das Gesicht des Gegenüber.
Schnell schätze sie sein Alter und schaute über seine Kleidung.
Der erste Eindruck war so als ob sie berührt wurde.
Seine Hände waren das nächste Ziel ihrer Augen. Sehr gepflegt und mit
schlanken Fingern waren sie versehen, aber auch nicht zu lang, als daß
sie die eines Totengräbers hätten sein können. Pianospieler hätte eher
gepasst.
Keine Ringe.
Nun begann das Gespräch.
Das Übliche. Sie verreiste ja nicht zum erstenmal in den Urlaub.
Dennoch hatte sie das Gefühl, als ob er sich besonders Mühe gab, so als ob er derjenige wäre, der mit ihr verreisen würde.
Er beeindruckte sie. Warum genau? Erst mal keine Ahnung.
Er ließ sich sehr bewußt ihre Wünsche und Interessen erklären, die sie
mit diesem Urlaub verband.
Sie ertappte sich dabei, daß sie mit ihren Gedanken nicht mehr bei
Janus war der sie begleiten würde, nein, schon war er ihr Begleiter.
Es wurde ihr bewußt und sie schämte sich.
Dennoch war es eine zu interessante Situation , um sie jäh abbrechen zu
wollen.
Der Herr Benne, so ließ es jedenfalls das Namensschild verlauten,
machte auch einen sehr engagierten Eindruck.
Seine Augen waren graublau und konnten sehr interessiert schauen.
Was sie einmal in ihren Bann gezogen hatten, schienen sie nicht mehr
loszulassen.
Anne registrierte das. Sie wußte was hier ablief und ließ sich darauf
ein.
Erst einmal unbewußt, aber dann mit zunehmender Zeit auch kalkuliert.
Sie fühlte sich endlich mal wieder interessant. Wie einfach es doch war
sie dort hinzubringen.
Und warum schaffte es Janus nicht mehr.
Er hatte doch viel mehr Zeit.
Anne war nicht mehr sie selbst, oder vielleicht auch zuviel. Sie wollte
jetzt auch nicht mehr darüber nachdenken. Es ging immer schneller. Sie
ließ sich gleiten und merkte wie gut es tat mal endlich wieder begehrt
zu werden. Noch einmal erschrak sie weil es so einfach zu sein schien.
Er fragte sie über dies und das und wollte einfach alles wissen. Sie
antwortete. Er war geschickt, schlich sich hinüber in ihr Privatleben.
Anne ließ es zu.
Sie verspürte eine Wärme die sie schon sehr lange vermisst hatte und
nach der sie sich sehnte.
Der Gedanke war schnell ausgesprochen. Hätten sie vielleicht Lust
nachher noch etwas mit mir zu essen. Warum nicht?
Heute kam Anne später nach Hause und Janus war auf dem Sofa
eingeschlafen.
Als sie die Haustüre aufschloss, wachte er auf. Janus war noch leicht
benommen. Er hatte die zweite Tiefschlafphase erreicht und fühlte sich
gerädert.
Sein erster Blick galt nicht ihr, sondern der Kaminuhr.
Fünf Stunden hatte er bereits auf dem Sofa geschlafen bis Anne
reinkam.
Sofort mischte sich ein Unbehagen in sein Gefühl und nachdem er kurz
"Hallo" sagte, wollte er denn auch schon wissen wo sie denn jetzt noch so
spät herkommt. Die Uhr zeigte irgendetwas mit 01 Uhr.
Anne versuchte sich nicht in Ausflüchten, sondern berichtete alles so
wie es vorgefallen war.
Nach der intensiven Beratung im Reisebüro waren sie noch beim Italiener
in der Nebenstraße,
hatten angenehm gespeist und danach noch etwas Weißwein getrunken.
Etwas zuviel für Anne. Das konnte der dann folgende Ramazzotti auch nicht
mehr vergessen machen.
Er hatte sich angeboten sie nach Hause zu begleiten. Nachdem sie ihm
gebeichtet hatte, daß sie mit jemandem zusammenlebt, lud er sie zu einem
Kaffee zu sich ein.
Er wohnte nicht weit entfernt und der kurze Gang lud zu einer
Betrachtung des klaren Sternenhimmels ein. Der Abend war kalt und er nahm sie in
den Arm. Sie spürte die Wärme.
Danach verspürte sie noch etwas. Nachdem sie gegangen war, fühlte sie
sich völlig daneben.
Auf dem Nachhauseweg gingen ihr tausend Dinge durch den Kopf.
Sie fühlte sich mies.
Aber es war doch nicht ihre alleinige Schuld. Nein das war es nicht. Zu
einer Situation gehören in einer Partnerschaft immer zwei. Zu deren
Lösung aber auch.
Na ja, war vielleicht nur etwas zu viel Wein der da
geholfen hat. Aber das war doch auch nötig!
Endlich wußte sie wo sie steht. Das mit Janus war ja schon lange nicht
mehr das was sie sich vom Leben vorstellte. Früher oder später wäre es
sowieso dazu gekommen. Dann noch besser bei ihr als bei ihm.
Denn wie
hätte sie sich bloss dabei gefühlt.
Nachdem sie über alles gesprochen hatten, sie ihr Gewissen bereinigt
hatte, waren sie sich über den weiteren Verlauf ihrer Beziehung sehr
bewußt.
Es war einfach zu Ende.
In der Zeit in der sich das Familienleben so in den Vordergrund drängt
wie sonst nie, lässt man einfach alles fallen. Nein, das war sicher
nicht einfach, und sicher war sie sich immer noch nicht. Das ging alles viel
zu schnell. Oder einfach nur zum falschen Zeitpunkt vor sich.
Ihre Freundinnen waren auch alle nicht mehr zufrieden in ihrer
Beziehung. Sie war halt die erste, die den Mut aufgebracht hatte sich dagegen zu wehren.
Eigentlich mochte sie Janus immer noch so wie früher, doch hatten sich
die Umstände geändert. Es war einfach nicht mehr ihr Leben. Nein, das
wollte sie nicht mehr.
Janus sah das alles anders. Er war sehr unglücklich. Sicherlich hat
auch er es kommen sehen, aber die Geschwindigkeit mit der jetzt alles
passierte ließ ihn ohnmächtig erscheinen.
Sie waren sich schnell darüber bewußt, daß diese Geschehnisse das Ende
ihrer Beziehung bedeuteten.
Janus kämpfte auch nicht mehr. Die Wunden waren schmerzhaft und er
wollte sich nicht mehr wehren, obwohl er tiefe Liebe zu Anne empfand. Es
nutze nichts, sie hatte sich gegen ihn entschieden.
Diese Nacht schliefen sie zum erstenmal getrennt, obwohl ihnen schon so
oft danach zumute war.
Anne schlief gut, der Alkohol half.
Janus konnte erst spät schlafen.
Alles war da bereits schon zehnmal durchdacht und versucht worden
gedanklich zu ändern.
Da war nichts mehr zu ändern. Um fünf. Da schlief er.
Der nächste Morgen verlief ziemlich zahm. Jeder machte seinen gewohnten
Gang und war froh dem anderen aus dem Weg gehen zu können.
Anne nahm sich vor diese Nacht schon nicht mehr hier zu schlafen.
Anne machte Ernst.
Ihre Ungewissheit holte sie während der Arbeit ein. Die neu
angekommenen Bücher mußte sie drei mal eintippen, weil sich jedesmal ein anderer Fehler eingeschlichen hatte.
Ihre Gedanken waren bei Janus, aber auch bei Helge, dem Neuen.
Janus dagegen war am Ende. Seine Arbeit ging heute an ihm vorbei.
Seine Gedanken waren bei Anne. Sie war für ihn die Frau seines Lebens.
Seitdem er sie damals auf dem Pfarrfest kennengelernt hat, konnte er
nicht mehr von ihr lassen.
Lange her, aber immer noch präsent. Er ertappte sich auch bei dem
Gedanken einfach zu lange an etwas festgehalten zu haben, was nicht wirklich erreichbar war. Aber warum nicht.
Er liebte sie und hätte alles für sie getan.
Neue Situation.
Anne schlief ab jetzt bei Helge.
Janus war zwar sehr traurig und hatte des öfteren Gefühlsausbrüche, war
sich aber auch bewußt darüber, daß er diese Gefühle augenblicklich mit
niemanden teilen konnte.
Über Anne hatte er so ziemlich alle Beziehungen mit seinen Freunden von
damals vernachlässigt. Diesen Fehler bekam er jetzt zu spüren.
Aber es ging noch weiter.
Bald war Weihnachten und niemals zuvor hatte er sich so beschissen
gefühlt wie jetzt.
Jeder wünschte ihm ein frohes Weihnachtsfest, natürlich gut gemeint,
woher sollten die anderen auch wissen, daß es ihm so schlecht ging.
Der Zeitpunkt war schlecht gewählt.
Anne ging es besser. Sie war vielleicht nicht richtig glücklich, aber
abgelenkt.
Es war Donnerstag, der letzte Tag vor dem heiligen Abend. Normalerweise
standen sie da sehr früh auf, brachten die letzten Einkäufe hinter
sich, stellten Ordnung in der Wohnung her und gingen lange im Wald
spazieren.
Janus hatte keine Lust einzukaufen, Hunger hatte er auch keinen denn er
hatte Magenschmerzen und bekam nichts herunter. Auf Leute hatte er auch
keine Lust.
Er glaubte einfach nur Angst zu haben der Fröhlichkeit anderer Leute zu
begegnen.
Das einzige was er machte war im Wald spazieren zu gehen. Seine
Gedanken konnte man dabei sehr schön an sich vorbei ziehen lassen und
vielleicht mal neu ordnen.
Es war sehr schwierig. Hätte sie doch nicht gleich einen anderen, es
wäre einfacher für Janus gewesen. Aber gleich mit einem anderen
davonzuziehen, komisch. Er konnte es sich nicht erklären.
Den Weihnachtsbaum hatte er schon vor einer Woche gekauft. Morgen würde
er ihn schmücken. Ja, auch wenn dabei die Erinnerungen hochkommen
würden, einen Weihnachtsbaum wollte er schon haben.
Abends setzte er sich in´s Wohnzimmer und las ein wenig in seinem Buch.
Ihre gemeinsamen Sachen waren alle noch da, Anne hatte sich nur ihre
Kleidungsstücke schon mal mitgenommen. Die Couch die sie sich gemeinsam
bei Moblessa gekauft hatten, stand immer noch fest auf vier Beinen in der
Ecke mit dem Fenster.
Diese Couch hatten sie sehr oft im Schaufenster bewundert, bevor sie
sie dann endlich gekauft haben. Eigentlich war sie viel zu teuer für die
beiden, aber Janus hatte sich dann doch letzlich durchgerungen und
zugestimmt sie zu kaufen. Es wäre ja auch eine Anschaffung die man schon mögen
muß, und die man lange in Anspruch nimmt.
Janus las sich müde, trank eine Flasche Rose dabei und wechselte gegen
Mitternacht hinüber in´s Bett. Dort las er noch ein wenig weiter bis ihm
die Augen vor Müdigkeit zufielen.
Das erste Erwachen erfolgte gegen 4 Uhr. Unendlich langes hin und her
wälzen und erneuter kurzer Schlaf bis sechs Uhr folgten.
Dann sah er ein, daß es keinen Sinn machte noch länger liegen zu
bleiben und stand auf.
In dieser Nacht schlief Anne auch nicht gut. Sie hatte zwar vor dem
Einschlafen befriedigenden Sex gehabt, aber lag dann auch ab vier Uhr wach.
Der Sex hatte zwar ihren Körper befriedigt, jedoch nicht ihren Geist.
Sie fühlte sich an diesem Morgen sehr unwohl, hätte sich am liebsten
irgendwo in einer stillen Ecke vergraben.
Helge mußte arbeiten und stand gegen sieben Uhr auf. Eigentlich hatte
sie sich vorgenommen
mit ihm zusammen zu frühstücken, strich diesen Gedanken jedoch
kurzfristig und blieb schlurig im Bett liegen.
Eine Stunde später stand sie auf und nahm den Telefonhörer in die Hand.
Sie drückte auf der Tastatur die ersten Ziffern ihrer gemeinsamen
Rufnummer. Danach legte sie wieder auf.
Warum wollte sie Janus jetzt anrufen, was wollte sie ihm sagen? Sie
wußte es nicht genau.
Sie wußte nur, daß sie sich nach ihm sehnte.
Scheiß Gewohnheit! Denn etwas anderes konnte es ja wohl kaum sein. Der
Hörer des Telefons bahnte sich erneut den Weg in die Hand von Anne.
Dieses mal drückte sie keine Ziffer mehr bevor sie ihn wieder weglegte.
Janus holte sich frische Brötchen drüben vom Bäcker und kochte sich
einen starken Kaffee.
Den Kaffee nahm er sich als erstes vor, die Brötchen gar nicht.
Danach saugte er schnell die Wohnung und setzte sich wieder hin.
Alles fiel ihm schwer. Er wußte, daß er sich jetzt nicht hängen lassen
durfte. Danach wurde der Baum aus dem Keller und die Kugeln, Ständer und
Lichterkette vom Speicher geholt.
Nun ging es los. Ab mit dem Baum in den Ständer, den er letztes Jahr
neu gekauft hatte. Er hatte ein Drahtseil, dieser Ständer, welches durch
einen Hebeldruck stramm um den Stamm gezogen wurde und ihn fixierte. Die
Technik begeisterte ihn. Wie oft hatte er sich über den alten Ständer
schon geärgert, den ihnen seine Eltern irgendwann mal geschenkt hatten.
Diese drei Schrauben die man in den Stamm würgen mußte um ihm einen
sicheren Stand zu verleihen.
Ach ja, seine Eltern. Denen hatte er noch gar nichts gesagt.
Normalerweise schauten Anne und er immer am ersten Weihnachtstag zum Essen bei ihnen vorbei.
Diese Aufgabe stand ihm auch noch bevor. Ach, warum konnte er nicht
einfach einen Knopf betätigen, der ihn diese Tage einfach vorspulen ließ.
Seine Eltern würde er morgen anrufen, heute nicht, für heute hatte er
genug mit sich selbst zu tun.
Blaue Kugeln und ein paar Schleifen,
nachdem die Lichterkette angebracht war.
Bei der Verteilung der Lichterkette ging er immer folgendermaßen vor.
Alle Kerzen wurden an den Baum gesteckt, angeschaltet, dann entfernte er
sich zwei Meter vom Baum und kniff die Augen soweit zusammen bis er
wirklich nur noch die Lichtpunkte der Kerzen sah.
Daran konnte er ausmachen wie exakt die Kerzen verteilt waren.
Der Baum war fertig geschmückt. Er gefiel ihm ausgesprochen gut.
Janus machte sich eine Flasche Bier auf, lehnte sich auf der Couch
zurück und betrachtete ganz in Ruhe und mit einer Befriedigung sein getanes Werk. Klasse!
Die Wohnung war in einer Stunde soweit aufgeklart, daß er damit
zufrieden sein konnte.
Während des Aufräumvorgangs dachte er ständig daran ob Anne auch mit
seiner Arbeit zufrieden sein würde. Ist wohl normal. War das vorher auch
schon da?
Um halb vier war er mit sich und seiner Welt einigermaßen zufrieden.
Wieder nahm er sein Buch und versank darin. Er hatte jetzt schon Angst,
daß er alleine gelassen würde wenn er am Ende des Buches angekommen
wäre. Auch das Buch würde ihn dann verlassen.
Anne räumte auch eine Wohnung auf. Zwar eine andere, aber der Vorgang
war doch irgendwo der gleiche. Sie wollte Helge eine Freude machen.
Auch der Abend sollte schön werden. Schnell noch hatte sie ihm gestern
eine Kleinigkeit gekauft. Eine hübsche Uhr. Das war ihr im Reisebüro,
bei ihrem ersten Aufeinandertreffen aufgefallen. Schöne Hände, kein Ring,
aber die Uhr passte irgendwie nicht.
Fing sie jetzt auch schon an ihn verändern zu wollen, oder warum tat
sie das. Nein, das war nur ein Geschenk, es sollte nichts damit zu tun
haben ihn verändern zu wollen. Ein Geschenk.
Ihr Geschenk für Janus hatte sie ja nicht gekauft. Sie hatte gar nichts
für ihn. Wahrscheinlich hätte er aber auch gar nichts von ihr haben
wollen. Vielleicht auch doch, aber das hätte sie ihm nicht geben können.
Janus hatte nun auch genug gelesen. Hunger verspürte er immer noch
nicht. Durst auch nicht. Aber trotzdem kündigte ein sattes Plopp den Verlust eines Korkens für die nächste Rose Flasche an.
Der gleiche Verlauf wie am Vorabend.
Am Morgen des heiligen Abends überkam ihn das Gefühl Anne sprechen zu
wollen.
Er nahm den Hörer in die Hand und wählte. Die Zweifel die Anne bei
ihrem Anruf überkamen erreichten auch ihn. Aber er wollte wenigstens ihre
Stimme hören. Sie meldete sich sehr schnell. Er hörte sich es an und legte dann auf. Jetzt war er noch aufgewühlter.
Das hätte er sich mal besser geschenkt.
Der Tag nahm seinen Lauf und als er sich umsah, war es bereits abend.
Der Hunger fehlte ihm noch immer. Das Fernsehen schaltete er auch nicht
an. Das Programm bestand aus herzzereißenden Filmen oder irgendwelchen
Liebesfilmen. Janus fasste einen Entschluß.
Er wollte durch die Innenstadt laufen. Er wollte die verlassenen Strassen spüren. Er wollte die Ruhe in sich aufsaugen, die jetzt draußen herrschte.
Janus zog sich seine dicke blaue Jacke mit den großen Knöpfen und dem
hohen Kragen an und verließ die Wohnung. Handschuhe zog er nicht an.
Der Fußmarsch in die Innenstadt dauerte nur fünf Minuten. Bis er die
Innenstadt erreichte, hatte er keinen Menschen angetroffen. Alle saßen
wohl jetzt im Kreise ihrer Familie und feierten in wohliger Atmosphäre das Weihnachtsfest. Wie neidisch er doch war.
Die Fenster der Häuser waren überwiegend schön geschmückt und strahlten
angenehme Wärme aus. Sein Spaziergang führte ihn durch die
Schumachergasse, in der tagsüber ein dichtes Gedränge herrschte, weil dort so ziemlich alle wichtigen Geschäfte zu finden waren.
Ihm fiel auf wie sehr die Zeit doch unser Leben bestimmt.
Nur rein zufällig kam er auch an dem Buchladen vorbei, in dem Anne
arbeitete.
Er schaute sich die Buchempfehlungen schon mal an und ging dann
weiter.
Eine weiter viertel Stunde lief er ziellos durch die Gassen bis er an
den Fluss kam.
Ja warum nicht. Er folgte dem Pfad, der am Fluss entlangführte. Er
vernahm Stimmen, die immer deutlicher wurden. Sein Weg führte ihn an einer Gruppe von drei anscheinend Obdachlosen vorbei, die auf ihn aufmerksam wurden.
Langsam schlenderte er an ihnen vorüber, bis einer aus der Gruppe laut
fragte ob er sich einsam fühlte.
Zuerst wollte er nicht antworten, legte aber dann seinen anscheinenden
Stolz ab, drehte sich um und ging zurück, auf die Gruppe zu. Keiner
sagte etwas. Er war der erste der wieder mit seiner Stimme die Stille
durchbrach. "Ja sagte er und wie sieht es mit Euch aus?"
"Uns geht es gut, wir haben zwar kein Dach über dem Kopf, dafür aber eine Hand über uns."
Janus war beeindruckt.
Sie kamen in´s Gespräch. Wäre er diesen Leuten unter normalen Umständen
begegenet, hätte er über sie hinweggesehen. Jetzt war es etwas anderes.
Schade, jetzt erst.
Sie fragten ihn wie es kommt, daß er nicht den heiligen Abend im Kreise
seiner Familie verbringen würde. Janus erzählte, er erzählte den dreien
einfach alles.
Und er fühlte sich gut. Nachdem er damit fertig war, wollte er
erfahren, wie ihr Leben bisher so verlaufen war.
Die Erzählungen berührten ihn. So hatte er sich diese Leute nie
vorgestellt. Bei allen dreien war es so, daß sie erst kein Glück hatten und dann das Pech noch hinzukam.
Arbeit verloren, Frau und dann das feste Dach überm Kopf. Die Straße
hat sie dann aufgefangen. Sie machten wirklich keinen unglücklichen
Eindruck, die drei Musketiere.
Janus dachte daran wie sehr er sich doch selbst bemitleidete. Er
schämte sich.
Die drei machten ihm klar, daß sie früher durchaus in angesehenen
Berufen gearbeitet hatten.
Prokurist bei einer Spedition, Abteilungsleiter eines Kaufhauses und
ein Zimmermann standen ihm gegenüber. Jedenfalls waren sie das in ihrem
früheren Leben.
Heute stellten sie sicherlich etwas anderes dar.
Mit jeder Minute, die er mit ihnen verbrachte verlor er an Größe. Die
Gestalt, die er besessen hatte als er an ihnen vorbeilaufen wollte, war
demontiert.
Und das hatte nicht bösartig stattgefunden.
Janus schoß auf einmal ein Gedanke durch den Kopf.
Er hatte selbst
schon seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Wie mußte es dann wohl mit
seinen neuen Freunden aussehen?
Er gab sich einen Ruck und fragte sie nach ihren Wünschen. Sie fingen
an zu erzählen.
Ihm war schnell klar daß er nur wenig helfen konnte, bot ihnen einen
Lammbraten mit Kroketten und Beilagen an. Dazu ein leckeren Wein. Sie
erkundigten sich bei Janus ob er sich über sein Angebot bewußt war.
Janus war entschlossen. Ja, er fühlte sich unsagbar gut, in diesem
Augenblick in dem er das Angebot ausgesprochen hatte. Sie freuten sich und willigten gerne ein.
Zusammen machten sie sich auf den Weg. Anne war für diesen Augenblick
vergessen.
Zwanzig Minuten später trafen sie in der Wohnung ein. Die drei
Musketiere waren entzückt, verspürten gerne die Atmosphäre, die ihnen begegnete.
Der schöne Baum, die wohlige Wärme, sie konnten ihre Mäntel ausziehen
ohne zu frieren. Es war einfach schön.
Janus fühlte sich genauso gut wie die drei. Zwar aus einem anderen
Grund, aber das war jetzt völlig egal.
Janus begab sich an die Tiefkühltruhe. Der Lammbraten mußte erst einmal
aufgetaut werden. Die Kroketten natürlich auch. Zwei Gläser mit Rotkohl
standen im Vorratsschrank.
Es ging vorwärts.
Die drei, Hans der Prokurist, Werner der Kaufmann und Hans 2 der Zimmermann halfen sehr gerne bei den Vorbereitungen für´s
Essen. Natürlich genossen sie dabei den Rose den Janus ihnen in seine Römer eingegossen hatte.
Sie wußten alle, daß Römer sicherlich nicht die richtigen Gläser für
diesen Wein waren, genossen es aber sehr ein solches Glas in ihrer Hand
führen zu dürfen.
Es war ja auch ein besonderer Abend.
Janus Ängste, die drei könnten sich jetzt sinnlos betrinken wollen,
verloren sich sehr schnell.
Er merkte, daß er schneller und unkontrollierter den Wein in sich
hineingoß als die drei.
Das Essen machte Vortschritte und im Hintergrund lief besinnliche
Musik. Janus ging es sehr gut.
Um punkt neun Uhr stand das Abendessen nett angerichtet vor ihnen auf
dem gedeckten Tisch. Hans 2 und Werner hatten früher auch gerne gekocht
und hatten noch so einiges drauf.
Der Lammbraten wurde mit einer leckeren Soße serviert, die Werner aus
Bratensaft, Rotwein, etwas Mehlschwitze und Roten Beete Saft zubereitet
hatte. Die Kroketten waren mit etwas Petersilie bestreut.
Man wünschte sich einen guten Appetit, fasste sich an den Händen und
genoss das Essen.
Beim Essen wurde wenig geredet, dafür war der Hunger bei allen zu groß.
Aber nachdem die Schalen, Teller und einige Flaschen ebenfalls leer
waren, wollte jeder erzählen.
Vier Menschen ging es so richtig gut. Janus bot einen Obstler an, als
Verdauungsschnaps.
Gerne sagten sie zu. Sie ließen ein Prost erklingen und der Schnaps
floß die Kehle hinunter.
Zurück blieb ein angenehmes Kribbeln.
Janus holte noch mehr Wein und goß ein. Die Musketiere nahmen dankend
an.
Der Alkohol machte Janus schwer zu schaffen. Der wenige Schlaf, die
Verweigerung der Nahrungsaufnahme und das gute Gefühl ließen ihn müde
werden. Er schlief am Tisch ein.
Kopfüber verließ er seine Gesellschaft.
Er träumte wilde Sachen fühlte sich gut dabei und erwachte gegen zehn
Uhr.
Janus stand auf, erinnerte sich an den letzten Abend und war sich nicht
sicher.
Er ging in die Küche und verschaffte sich einen Überblick. Alles war
aufgeräumt. Kein Anschein von einem oppulenten Abendessen mit den drei
Musketieren.
Selbst keine leeren Weinflaschen waren vorhanden. Es sah so aus wie
immer.
Hatte er etwa alles nur geträumt?
Er wurde unsicher. Keine Spuren von
gestrigen Besuchern in dieser Wohnung. Janus fasste sich an den Kopf.
Konnte ja nicht sein, oder doch?
Sein Kopf drohte zu zerspringen, er drehte sich um und ging in Richtung
Schlafzimmer.
Ein grauer Schal hing über der Lehne eines Küchenstuhls. Er nahm ihn in
die Hände und roch daran. Er müffelte.
Annes Schal war es nicht.......
Eingesand von Andreas! Vielen Dank ! Lily Wäre schön wenn du dich mal melden würdest :-)
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